Schmerzempfindliche Zähne: die neue Wahrheit, die ich selbst als Zahnärztin noch nicht kannte
Das kannst du erfahren
Mehr als ein Drittel der Deutschen leiden unter schmerzempfindlichen Zähnen. Oft ist die Ursache ein Defekt an Zahnsubstanz, wodurch Nervkanälchen frei liegen. Lange Jahre haben sich viele Mythen zur Ursache der Zahnsubstanz-Schäden gehalten. In diesem Artikel erfährst du, welche davon der Wahrheit entsprechen, welche nicht, und wie du mit dem neuen Wissen empfindliche Zähne vermeiden kannst.
Wenn Trinken und Atmen Schmerzen bedeuten
Ein kalter Atemzug – AUA. Ein Schluck Wasser – AUA. Zähneputzen – AUA.
Kommt dir bekannt vor? Dann hast du wohl überempfindliche Zähne. You are not alone. Eine Umfrage in Deutschland ergab, dass 39% aller Befragten an reizbedingter Schmerzempfindlichkeit leiden. 🤕
Und mit dieser Diagnose kommen auch oft die gut gemeinten Tipps: "Putz dir frühestens 30 Minuten nach dem Essen die Zähne. Sonst schädigst du deinen Zahnschmelz."
Kennst du? Ist Unsinn. Sagt zumindest eine große europäische Studie.
Aber der Mythos hält sich! Mir wurde es genau so im Studium beigebracht (und hey, immerhin habe ich in den 2010ern studiert und nicht 1950) und ich wurde erst vor Kurzem eines Besseren belehrt! 😯
In diesem Artikel geht es darum, welche Mythen zu den Ursachen von schmerzempfindlichen Zähnen stimmen und welche nicht.
Schauen wir uns zuerst einmal an, warum wir schmerzempfindliche Zähne bekommen.
Wie kann mein Zahn eigentlich fühlen – Der Zahnaufbau einfach erklärt
Im Inneren des Zahnes liegt der Zahnnerv. Er ist umgeben von dem Zahnbein, Dentin genannt. Das Dentin enthält mikroskopisch kleine Kanälchen. In diesen Kanälchen finden sich kleine Nervenausläufer des Zahnnervs. Oberhalb des Zahnfleisches schützt eine starke Schicht Zahnschmelz die Dentinkanälchen und den Nerv.
Ursachen von empfindlichen Zähnen
Die Ursache von sensiblen Zähnen liegt meist darin, dass die ummantelnde Schicht Schmelz geschädigt ist und so durchlässig für Reize wird. Der Zahnschmelz besteht zu 95% aus Mineralien, vor allem Kalzium.
Wie wird Zahnschmelz nun geschädigt?
Weißt du, wie man einen Wasserkocher entkalkt? Genau, mit Säure. What the hell hat ein Wasserkocher mit meinem Zahnschmelz zu tun?
Weil Säure Kalzium löst. Ab einem pH-Wert unter 5,5 wird der Zahnschmelz angegriffen. Säure führt also zu Zahnsubstanz-Schäden, die so genannten Erosionen. Sie sind eine der häufigsten Ursachen für empfindliche Zähne und deshalb hier und heute das große Thema.
Der Vollständigkeit halber findest du hier noch weitere Ursachen für den Verlust von Zahnsubstanz und somit schmerzempfindlichen Zähnen. Wenn dich nur die Erosionen interessieren, dann kannst du diesen Absatz überspringen.
- Karies: Bei Karies wird die Zahnsubstanz durch Bakteriensäuren aufgelöst. Je größer die Karies wird, desto näher reicht der Zahnsubstanz-Defekt an den Nerv ran. Diese Stelle ist natürlich besonders durchlässig für Schmerzreize.
- Abgenutzte Füllungen und Zahnersatz: Füllungen und Zahnersatz ersetzen einen Teil deiner Zahnsubstanz. Die Materialien, aus denen Füllungen und Zahnersatz gemacht sind, nutzen mit der Zeit ab. So entsteht am Übergang zu deiner Zahnsubstanz ein Spalt, in den Reize eindringen können.
- Zähneknirschen: Viele Menschen bauen ihren Stress über die Zähne ab. Der Kaumuskel ist der stärkste Muskel im menschlichen Körper, wir können mit ihm bis zu 80 kg Kraft aufbringen. Wenn du regelmäßig zu fest aufeinander beißt, kann deine Zahnsubstanz einiges an Schaden nehmen. Dein Zahnschmelz platzt ab oder bricht, das Dentin legt sich frei und wird anfällig für Schmerzreize.
- Zahnfleischerkrankungen: Zahnfleisch- und Zahnbettentzündungen führen zu Zahnfleischrückgang. Dadurch wird der Teil des Zahnes freilegt, der nicht mehr natürlicherweise durch Schmelz geschützt wird. Dieser Teil wird Zahnhals genannt. Freiliegende Zahnhälse sind sehr empfindlich für Schmerzreize.
- Falsches Zähneputzen: Eine zu kraftvolle Zahnputztechnik führt dazu, dass dein Zahnschmelz weggeputzt wird. Eine Zahnbürste mit zu harten Borsten unterstützt diesen Effekt.
- Falsche Zahnpasta: Zahncremes, die mit einem Aufhellungseffekt werben, beinhalten stark abtragende Putzpartikel und schädigen den Schmelz. Welche Zahnpasta die richtige ist, erfährst du gleich.
- Zahnaufhellung: Zahn-Bleichmittel greifen Gewebe an. Daher können diese Bleichmittel in wirksamen Dosen nur vom Zahnarzt gekauft werden. Bei einem professionell durchgeführten Bleaching ist die Empfindlichkeit der Zähne reversibel, meistens hält es nur 24 Stunden an. Wird ein Bleaching falsch durchgeführt, können erhebliche Schäden auftreten! Daher raten Experten von Selbstversuchen ab. Wenn du dich für Details zum Bleaching interessiert, lies doch diesen Artikel!
Nun aber zurück zu den Erosionen. Darf ich nun kein saures Obst mehr Essen? Was tatsächlich zu Erosionen führt, was nicht, und wie du dich tatsächlich vor Erosionen und somit schmerzempfindlichen Zähnen schützen kannst, hat eine große Studie aufgedeckt. Das schauen wir uns nun genauer an.
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3 Mythen stimmen, 3 Mythen stimmen nicht
❌ Ein Warten mit dem Zähneputzen nach dem Essen schützt nicht vor Erosionen.
Boah, DER Mythos schlechthin. Ich hab das selbst schon vielen Menschen erzählt. Naja, man lernt eben ein Leben lang. Was hat es damit auf sich?
Normalerweise herrscht im Mund ein neutraler pH-Wert zwischen 6 und 7. Beim Essen sinkt dieser innerhalb von 10 Minuten ins Saure ab (auf einen pH-Wert von unter 5,5). Das passiert selbst auch, wenn wir nichts Saures essen! Denn die Bakterien in unserem Mund scheiden Säure als Stoffwechselprodukt aus.
Unser Speichel ist basisch und kann die Säure innerhalb von 30 Minuten neutralisieren. Daher kam immer die Empfehlung: Nicht Zähneputzen, wenn es sauer im Mund ist, weil man sonst den angelösten Schmelz wegputzt. 30 Minuten warten, bis der Speichel alles neutralisiert hat!
So gut die Theorie. In der Studie wurde gezeigt, dass es in der Praxis anders aussieht und dieser Tipp keinen Einfluss auf die Entstehung von Erosionen hat.
❌ Vermehrtes Kaugummi-Kauen schützt nicht vor Erosionen
Auch dieser Tipp macht in der Theorie Sinn. Kaugummi-Kauen verstärkt den Speichelfluss. Speichel neutralisiert Säure. Keine Säure, keine Erosionen. In der Studie konnte jedoch kein Zusammenhang zwischen Kaugummi-Kauen und einer reduzierten Entstehung von Erosionen gefunden werden.
❌ "Zu viel" Zähneputzen verursacht keine Erosionen
Kann man seine Zähne zu viel putzen? Manche Zahnärzte sagen ja. Weil mit jedem Putzen ein bisschen Schmelz angegriffen wird. Die Studie konnte jedenfalls keinen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit des Putzens und den Zahnsubstanzschäden finden. Achtung! Sehr wohl spielt aber zu viel Druck, ein zu harter Bürstenkopf und Zahnpasta mit zu vielen Schleifkörpern eine Rolle!
✅ Saure Getränke und frische Früchte können Erosionen verursachen
Die Einnahme von sauren Getränken und frischen Früchten zeigte in der Statistik ein höheres Auftreten der Erosionen. Ist nun alles Saure verboten? Nein. Die Regelmäßigkeit macht's. Wichtig ist: Nicht über den ganzen Tag verteilt
✅ Regelmäßiges saures Aufstoßen und Erbrechen können Erosionen verursachen
Saures Aufstoßen und Erbrechen waren in der Untersuchung mit vermehrten Erosionen verknüpft. Wer also an Reflux oder Bulimie erkrankt ist, sollte sich gut zahnärztlich betreuen lassen!
✅ Die Einnahme von Antidepressiva kann Erosionen verursachen
Die Wahrscheinlichkeit für mehr Erosionen war bei der Einnahme von Antidepressiva 4-mal so hoch! der Grund ist, dass Antidepressiva oft zu weniger Speichelfluss führen und so der Zahn für Erosionen anfälliger wird.
Mein Fazit dazu
Hast du Erosionen? Dann beleuchte deinen Lebensstil mal auf Medikamente und Nahrungsmittel. Ums Zähneputzen musst du dir keine Sorgen machen (vorausgesetzt du bist ein guter Putzer 😉).
Anyway, empfindliche Zähne können viele Gründe haben. Lass doch einfach mal den Zahnarzt schauen? Der Gang zum Zahnarzt lohnt sich allemal, denn es gibt einige Behandlungsmöglichkeiten. In dem Artikel Schmerzempfindliche Zähne – Wie du deine Eiscreme wieder schmerzfrei genießen kannst gibt's ne Übersicht dazu!